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AutorenbildLisa Reci

Dann bist du halt besonders- Mein Kind lebt mit infantiler Zerebralparese


Nachdem für heute Ruhe eingekehrt ist, habe ich mich gefragt, welches Thema mein Beitrag hier heute haben könnte.

Dann schaute ich meinen ältesten Sohn an ,der als letzter von der Rasselbande noch nicht schläft, und habe mich entschieden seine Geschichte zu erzählen.

Die Geschichte eines kleinen Kämpfers, der sich niemals hat unterkriegen lassen und mich jeden Tag aufs neue fasziniert.

Emiljan erblickte vor bald 6 Jahren das Licht der Welt. Wie ich euch in meinem Beitrag "Mein Leben mit einem Schreibaby" berichtet habe, war die Anfangszeit alles andere als leicht. Emiljan weinte fast ununterbrochen und war gefühlt nie oder sehr sehr selten zufrieden. Ich nahm es so hin, was sollte ich auch anderes tun. Schreibabies gibt es nun mal dachte ich.

Die motorische Entwicklung schien zunächst normal zu verlaufen. Emiljan begann mit ca 6 Monaten zu robben, relativ schnell danach begann er zu krabbeln.

Als er allerdings begann sich an Möbeln hochzuziehen, fiel uns auf, dass er dies über den Fußrücken tat. Er konnte seinen Fuß nicht direkt so aufstellen wie andere Kinder in dem Alter das taten. Ich erzählte der Kinderärztin davon, die dieser Beobachtung jedoch keine besondere Aufmerksamkeit schenkte. Und so übte Emiljan fleißig jeden Tag das stehen auf seinen kleinen Speckbeinchen und begann nach einiger Zeit auch an Möbeln entlang zu laufen. Wenn wir draußen spazieren waren, hielt er sich mit Vorliebe am Kinderwagen fest und schob ihn durch die Gegend. Das freie Stehen und Gehen ließ aber weiterhin auf sich warten. Als Emiljan mit 18 Monaten immer noch nicht frei laufen konnte, schickte uns die Kinderärztin zunächst zur Physiotherapie. Dort hatten wir das Glück eine wirklich kompetente Therapeutin zu haben, die sich Emiljan mit viel Geduld annahm. Denn Emiljan hatte so gar keine Lust auf Physiotherapie und verbrachte die ersten Wochen damit die Praxis zusammen zu schreien.Als Emiljan mit 22 Monaten seine ersten freien Schritte ging, war es für mich als würde die ganze Welt um mich herum stehen bleiben. Jetzt wird alles gut dachte ich. Er kann es ja. Natürlich, sah es definitiv anders aus als bei anderen Kindern die gerade das Laufen gelernt hatten, aber das war mir erstmal egal. Aller Anfang ist schwer. So dachte ich,

Die Kinderärztin hatte weiterhin keine wirkliche Meinung geschweige denn eine Diagnose parat. Also gingen wir zur Physiotherapie und unser Alltag nahm weiter seinen Lauf. Ich ging jeden Tag mit Emiljan raus und versuchte ihm so viele Bewegungsanreize wie möglich zu geben. Dazu gehörte auch, dass ich mir bei manchen seiner Aktivitäten die Augen zu hielt weil ich Angst hatte er könnte Fallen und sich weh tun. Da ich ihn aber auf keinen Fall in seinem Bewegungsdrang bremsen wollte war das die einzig funktionierende Methode. Das kuriose war, Emiljan fiel oft, aber erstand einfach wieder auf. Das lag nicht daran, das er ein fehlendes Schmerzempfinden hatte. Denn Schmerz konnte er durchaus empfinden. Jedoch nicht dann wenn es darum ging seine Bewegungen zu optimieren. Aus diesem kleinen Wesen sprudelte der pure Ehrgeiz die Welt zu entdecken.

So entwickelten sich Emiljans Bewegungsabläufe deutlich weiter. Es war jedoch offensichtlich, dass sein Gangbild auffällig war. Er lief relativ wackelig, die Füße zeigten immer etwas nach innen und er lief hauptsächlich auf den Zehenspitzen.

2 Tage vor Emiljans zweitem Geburtstag hatten wir dann einen Termin zur U-Untersuchung. Rückblickend war dieser Tag bis heute der schlimmste in meinem bisherigen Leben. Nachdem die Kinderärztin ihn untersucht hatte und sich speziell seiner Motorik gewidmet hatte, teilte sie mir gemeinsam mit der Arzthelferin und einem sehr bemittleidenden Blick mit, dass sie glaube Emiljan habe Muskelschwund und wir sollen doch bitte einen Spezialisten aufsuchen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr was sie genau alles gesagt hatte, denn vor meinem inneren Auge liefen sofort sämtliche mögliche Szenarien ab. Mir war bewusst, obwohl ich mich nie näher mit der Thematik auseinander gesetzt hatte, dass es verschiedene Formen von Muskelschwund gibt. Ich wusste auch, dass einige davon einen frühen Tod bedeuten könnten. Das alles 2 Tage vor seinem zweiten Geburtstag.

Natürlich dauerte es auch noch einige Wochen bis zu dem Termin beim Spezialisten. In dem Fall heißt Spezialist, irgendein Arzt aus dem SPZ (Sozialpädriatisches Zentrum) der Uniklinik Köln. Diese Zeit der Ungeweissheit war für mich wirklich schwer. Es gab Momente in denen ich mir die schlimmsten Sachen ausmalte. Allerdings gab es auch die Momente, die Gott sei Dank dominierten, in denen mein Instinkt mir sagte, dass Emiljan definitiv keinen Muskelschwund hat. Es gab wirklich diese Stimme in mir die mir das versicherte.

Im Endeffekt, hatte mein Instinkt Recht behalten. An dem Tag als wir den ersten Termin in der Uniklinik hatten, sagte man uns es sei definitiv kein Muskelschwund.

Man konnte uns aber auch nicht wirklich sagen was er hat. Wir hatten gefühlt 5 Termine, die ständig gleich abliefen: Wir warteten unfassbar lang um dann auf irgendeinen Arzt zu treffen, der Emiljan nicht kannte. Wir erzählten jedes Mal die gleiche Geschichte (bzgl Geburt, motorische Entwicklung etc.), dann wurde Emiljan untersucht und wir bekamen jedes Mal eine andere Meinung zu hören. Die Meinungen gingen, bezüglich Emiljans Gangbild, von habituell d.h man ging davon aus er hätte es sich einfach so angewöhnt bis hin zur Spastik. Später kam noch der Verdacht auf eine andere Muskelerkrankung dazu. Ich kann euch gar nicht sagen, wie kräftezehrend es ist, wenn man ständig zu sogenannten Spezialisten rennt und man am Ende das Gefühl hat der eine weiß nicht was der andere erzählt.

Was mich in dieser Zeit positiv gestimmt hat, war Emiljan selbst. Er blieb ehrgeizig und entdeckte weiterhin die Welt. Selbst dann, wenn seine Freunde auf dem Sportplatz ein Wettrennen machten und er jedes Mal der letzte war, freute er sich und machte jedes Mal wieder beim Wettrennen mit. Als seine Freunde bereits Laufrad fahren konnten, es ihm aber noch schwer fiel weil er das Gleichgewicht nicht gut halten konnte, fuhr er einfach weiter Bobbycar. Es war ihm egal. Er brachte sogar alle anderen dazu auch wieder ihre Bobbycars rauszuholen.

Letztendlich, dauerte es bis zur sicheren Diagnose fast 2 (!!!!!) Jahre. 2 Jahre voller verschiedener Meinungen, möglicher Diagnosen und Sorge.

Ich bin so froh und dankbar, dass Emiljan von Anfang an so ehrgeizig und stark war und sich von nichts hat bremsen lassen. Er hat es sich trotz seines "Handicaps" nicht nehmen lassen die Welt zu entdecken und sich weiter zu entwickeln.

Mittlerweile ist er 5 Jahre alt, und lebt mit der Diagnose "Infantile Diparese", heißt übersetzt : Emiljan hat eine Spastik in beiden Beinen. Das Nervensystem sendet ununterbrochen das Signal "Muskeln anspannen", was dazu führt dass Emiljans Beine immer angespannt sind. Um besser Laufen zu können, nutzt er bevorzugt den Vorderfuß was zu einem Zehenspitzengang führt. Durch die Spitzfußhaltung wiederum, verkürzt sich automatisch die Achillessehne. Um dieser Tatsache vorzubeugen, trägt Emiljan täglich einige Stunden Orthesen und bekommt alle 3-6 Monate eine Botoxinjektion in die Beinmuskulatur.


Je älter Emiljan wird, desto besser, kann man sich auch mit ihm über seine "Besonderheit" unterhalten. Grundsätzlich ist er diesbezüglich nach wie vor sehr selbstbewusst. Was er jedoch hasst, und ich kann es verstehen, sind die Orthesen. Denn die sehen trotz der Tatsache, dass wir das Jahr 2022 schreiben aus, wie Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Sie sind zwar kindlich bunt aber klobig wie Skischuhe. Ich muss ehrlich gestehen, dass es mir oft schwer fällt ihn zum Tragen der Orthesen zu ermutigen. Zum einen weil ich nach wie vor, entgegen der Meinung sämtlicher Ärzte, der Meinung bin, dass sich seine Achillessehne nach jedem Wachstumsschub nachdehnt (das habe ich an seinem Gangbild gesehen, da gab es nicht mal eine sichere Diagnose) und zum anderen weil ich seit 5 Jahren jeden Tag sehe, wie er sich sämtliche Bewegungsabläufe selbst beigebracht hat. Er springt, klettert, rennt und tut alles das was seine Freunde tun, nur eben auf seine Art und Weise. Durch die Orthesen wird er ausgebremst.

Anfreunden kann ich mich nur deswegen damit, weil wir für uns den Mittelweg gefunden haben, dass er sie für einige Stunden am Tag trägt und dann ausziehen darf.

Ich habe für mich beschlossen, dass ich mein Kind niemals auf diese Diagnose reduzieren werde, selbst dann nicht wenn ich ab und zu entgegen dem ärztlichen Rat handele. Ich glaube ich weiß als Mutter sehr genau und am besten was gut für mein Kind ist. Ich werde die Kindheit meines Sohnes nicht mit sämtlichen Therapien füllen nur weil irgendjemand der Meinung ist das sollte man so tun. Wir tun genau das was nötig ist. Alles andere lassen wir bleiben. Emiljan wird seinen Weg gehen und ab einem gewissen Alter selbst entscheiden was richtig für ihn ist, denn das wird er selbst am besten wissen....




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